Ein neues Serviceverständnis muss her

Denn Service ist nicht gleich Service

Fast alle sprechen von Beziehungs-Management und Customer Experience. Und es steht in vielen Leitbildern geschrieben.

Doch was wird konkret unternommen? Werden die Kundeninteraktionspfade (Customer Journeys) und Kundenberührungspunkte (Customer Touchpoints) tatsächlich gestaltet (designed), inszeniert und einstudiert?

Kundenbegeisterung bleibt den Zufall überlassen

Meist bleibt es bei Lippenbekenntnissen, vieles wird dem Zufall überlassen, Missionen und Visionen sind nicht vorhanden, unklar oder den Mitarbeitenden (auch dem Kader) nicht bekannt.

Ein ganzheitliches Kundenerlebnis, eine wiederholbare, begeisternde Kundenerfahrung ist dadurch kaum möglich. Die Wiedererkennbarkeit und damit auch die Differenzierung vom Mitbewerb sind so nicht gegeben.

After-Sales-Service

Kundenservice ist für viele immer noch das, was nach dem Verkauf kommt. Es wird daher auch After Sales Service genannt. Und für nicht wenige geht es dabei vor allem darum, Beschwerden rasch abzuhandeln.

Dienen kommt vor dem Verdienen

STOPP! Dienen muss wieder vor dem Verdienen kommen. Noch hat die grosse Mehrzahl der Unternehmen nicht verstanden, Services dann anzubieten, wenn der Kunde sie wirklich benötigt, sie sich wünscht oder ein entscheidender Moment im Leben eines Menschen eintritt.

Die Kundenperspektive einzunehmen ist schwer

Sie betrachten die Prozesse immer noch aus einer Produkt-, aus einer Innensicht. Es fällt ihnen schwer, die Kundenperspektive einzunehmen und den Kundenkontext zu berücksichtigen.

Was Kunden wollen

Big Data, Business Analytics, Business Intelligence, sie alle helfen nicht, wenn ein Unternehmen nicht interpretieren kann, was ihre Kunden, wann, wo und warum wollen oder brauchen. Und falls sie dies herausfinden sollten, nichts mit diesem Kundenwissen anfangen können.

Inszenieren einzigartiger Kundenerlebnisse

Hier wären dann die Serviceinszenierungen einerseits, aber auch die individuellen Fähigkeiten in Kombination mit delegierten Finanz- und Entscheidungskompetenzen andererseits gefragt, um begeisternde, einzigartige Kundenerlebnisse zu erzeugen.

Aus Kundensicht zählt nur das Gesamterlebnis

Call Center und Contact Center würden zu echten Customer Loyality Teams bzw. eigentlich müsste das gesamte Unternehmen ein grosses solches sein. Letztlich zählt aus Kundensicht nur das Gesamterlebnis.

Ein Kunde interessiert sich nicht dafür, wie gross ein Unternehmen ist oder wie es organisiert ist. Er will nur, dass diejenige Person, die ihn jetzt gerade bedient, seine Probleme löst.

Der Kunde will eine Lösung

Guter Service bedeutet auch einmal einzugestehen, dass man selbst nicht der geeignete Partner ist oder ein Artikel gerade nicht an Lager liegt. Damit aber nicht genug.

Der Kunde erwartet eine Lösung. D.h. dem Kunden wird möglichst der „richtige“ Partner mitgeteilt oder wo der Artikel gerade lieferbar ist.

Gut bediente Kunden kommen wieder

Vielleicht mache ich in diesem Moment keinen Umsatz bzw. kein Geschäft. Dieser Kunde kommt aber auch mit seinem nächsten Anliegen mit grosser Wahrscheinlichkeit wieder zu mir. Und wenn es dann passt, wird er bei mir kaufen.

Service ist eine Einstellung

Services sind nicht einfach „intangible products“ (Produkte, die man nicht berühren kann). Service ist vor allem eine Einstellung; es geht darum, einem Kunden wirklich zu dienen. Daher ist ein Service bzw. die Serviceerbringung auch nicht einfach eine Dienstleistung.

Bisherige Servicedefinition

Bisherige Servicedefinitionen sehen Services oder eben Dienstleistungen meist als Zusatz zu einem physischen Produkt, das produziert und vermarktet wird. Services sind jedoch weit mehr. Eigentlich ist es genau umgekehrt. Ein physisches Produkt ist Teil des Services, das ein Unternehmen seinen Kunden generiert.

Service ist, was einem anderen einen Nutzen stiftet

Denn Service ist zunächst einmal alles, was einem anderen einen Nutzen stiftet. Zudem sind Services „Journeys“ (Erlebnispfade).

Bei einem Produkt liest du die Bedienungsanleitung und weisst, worum es geht, welche Funktionen das Produkt hat und wie du das Produkt nutzen kannst. Und du kannst damit „herumspielen“, es ausprobieren, bevor du es wirklich nutzt.

Ein Service wird erst in demselben Moment erlebbar, wenn er „konsumiert“ wird.

Was zählt, ist das was bleibt

Was beim Service schliesslich zählt sind nicht die Erlebnisse selbst, sondern was davon bleibt, d.h. woran sich ein Kunde schliesslich erinnert. Es geht um die emotionale Einfärbung von Serviceerlebnissen, um die sogenannten „kritischen Momente“ (critical moments) in einer Customer Journey.

critical moments

Diese Momente sind erstens zu identifizieren und zweitens so auszugestalten, dass sie möglichst als begeisternde Momente in Erinnerung bleiben.

Dabei kann insbesondere ein schlechtes Erlebnis zum Ende einer Journey alle vorgängig vielleicht sehr positiven Momente zunichtemachen.

Das Ende ist durchdacht zu inszenieren

Daher ist wie bei einer guten Geschichte insbesondere auch das Ende sehr durchdacht zu inszenieren und sicherzustellen, dass der Kunde mit einem begeisterten Gefühl verbleibt.

Grossartige Serviceerlebnisse sind multisensorisch und fühlen sich einfach an

Grossartige Serviceerlebnisse fühlen sich aus Sicht der Kunden immer sehr einfach an,
sie sind leicht erkennbar und sie sind multisensorisch, d.h. mit allen Sinnen erlebbar, so inszeniert, dass sie bei den Kunden positiv emotional eingefärbt und damit leicht in Erinnerung bleiben.

Etliche etablierte Marketingkonzepte haben zunehmend ausgedient oder sie müssen erweitert und/oder neu interpretiert werden.

Der neue Marketing-Mix

Die klassischen vier P‘s des Marketing-Mixes (product, price, place, promotion) müssen um mindestens vier weitere P’s erweitert werden: people, processes, partnership, physical evidence).

Ich schlage noch einen weiteren P vor, personal experience and context. Auch muss die Produkteorientierung einer konsequenten Kunden- und Serviceorientierung weichen.

Service-Inszenierung am Beispiel Autopanne

Hierzu ein Beispiel eines Versicherungsunternehmens. Ein Kunde ruft im Contact Center an und will seine Panne melden.

Bisheriger Prozess

Der Mitarbeitende kann nun diesen Fall wie meist üblich produktorientiert abwickeln. D.h. er fragt nach der Kontrollschild-Nummer, identifiziert den Kunden und prüft die Deckung.

Nachdem die Deckung gegeben ist, wird ein Entpannungsdienst aufgeboten.

Die kunden- und serviceorientierte Variante

Die bessere Variante wäre eine service- und kundenorientierte. Der Mitarbeitende klärt zunächst die Umstände bzw. den Kontext der anrufenden Person ab und erkundigt sich nach den persönlichen Dingen:

Kontext klären

„Wie geht es Ihnen?“, „Wohin müssen Sie und müssen Sie zu einer bestimmten Zeit dort sein?“, „Sind andere Personen von Ihrer Verspätung betroffen, die man informieren müsste oder um die man sich kümmern muss?“ (Vielleicht muss die Person an ein wichtiges Meeting oder ihre Kinder abholen oder, oder, oder), usw.

Vielleicht ist im individuellen Kontext einer Person gar nicht die Entpannung das momentan Wichtigste, sondern die Mobilität oder eben, dass jemand zu den Kindern schaut.

Ein neues Serviceverständnis ist nötig

Es liegt auf der Hand, dass ein solches Vorgehen ein völlig neues Serviceverständnis voraussetzt, anderer Hilfsmittel notwendig macht, zusätzliche Ausbildungen und andere finanzielle und Entscheidungskompetenzen der „Customer Loyality Teams“ benötigt werden.

Das Geschäftsmodell muss eventuell neu definiert, inszeniert und implementiert werden. Das ist Ihnen zu aufwändig? Dann werden Sie bald zuschauen müssen, wie Ihnen andere die Kunden abjagen werden.

Zusammenfassung

Fassen wir zusammen: Service ist, was einem anderen einen Nutzen stiftet.

Der individuelle Erlebnispfad eines Kunden (Customer Journey) ist die Kombination aus der Nutzung von Produkten und Dienstleistungen sowie der Interaktionsmöglichkeiten (Touchpoints) eines Unternehmens basierend auf den Erwartungen, Erfahrungen, Vorkenntnissen und des individuellen Kontextes des Kunden.

Das Kunden-Serviceerlebnis (Customer Experience) hängt davon ab, wie gut (emotional und multisensorisch) die kritischen Momente inszeniert sind, ob die Serviceleistung leicht erkennbar ist und als begeisternd in Erinnerung bleibt.

Probieren Sie es aus!

Viel Spass und Erfolg dabei.

Herzliche Grüsse

Ihr Roger Schmid

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